( Interview mit der Musikwoche vom 11.09.2020 )
In der Corona-Krise traten zahlreiche Verbände der Musikwirtschaft erstmals geschlossen auf. Nun wollen Musikkonzerne und unabhängige Labels, Verlage, Veranstalter, Clubbetreiber und die Musikinstrumente- und Equipment-Branche diesen Schulterschluss verstetigen – ohne dabei aber einen neuen Dachverband zu gründen.
Den Zusammenschluss im Forum Musikwirtschaft bestätigten Birgit Böcher als Geschäftsführerin des Deutschen Musikverleger-Verbands (DMV), Florian Drücke als Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Musikindustrie (BVMI), Jörg Heidemann als Geschäftsführer des Verbands unabhängiger Musikunternehmer*innen (VUT), Daniel Knöll als Geschäftsführer der SOMM – Society Of Music Merchants, Jens Michow als Präsident des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV) und Karsten Schölermann als zweiter Vorsitzender der LiveMusikKommission (LiveKomm) in einem exklusiven Gespräch mit MusikWoche. Dabei kündigten die Spitzenkräfte der Musikwirtschaft zudem zeitnah eine eigene Konferenz an sowie die anstehende Veröffentlichung verschiedener Studien.
_____»Lasst uns bitte auch weiterhin so schlagkräftig sein.« BIRGIT BÖCHER, DMV.
»Wir haben wilde und turbulente Monate hinter uns«, erinnerte sich Birgit Böcher. Trotz aller Turbulenzen aber hat die Corona-Krise ganz offenbar das Binnenklima zwischen den Verbänden der Musikwirtschaft merklich verbessert: »Ich zumindest kann mich nicht erinnern, dass die Zusammenarbeit schon einmal so gut geklappt hat wie derzeit.« Die Position der Akteure der Musikwirtschaftsverbände sei deshalb eindeutig: »Lasst uns bitte auch weiterhin so schlagkräftig sein«, fasste es die DMV-Geschäftsführerin zusammen. Um sichtbarer zu sein und seinen Anliegen mehr Gewicht zu verleihen, habe man nun miteinander das Forum Musikwirtschaft ins Leben gerufen.
Den ersten Anstoß zum Schulterschluss der Musikverbände, der sich im Zuge der Corona-Krise bereits verfestigt und bewährt hat, gab vor rund einem Jahr der sogenannte Nauener Kreis, erinnerte Jörg Heidemann bei dem digitalen Round Table. In dem brandenburgischen Städtchen hatten sich Vertreter der Verbände der Musikwirtschaft mit Akteuren von Verwertungsgesellschaften und aus der Musikförderung getroffen und »zusammengerauft«, wie Heidemann berichtete. »Das war der Startschuss. Wenn es diese Runde nicht gegeben hätte, wären wir in Corona-Zeiten nicht in der Lage gewesen, so schnell zu reagieren und zum Beispiel gemeinsame Papiere zu erarbeiten und zu verabschieden.«
_____»Fürs BKM sind wir zu sehr Wirtschaft, fürs Wirtschaftsministerium sind wir zu sehr Kultur.« JÖRG HEIDEMANN, VUT.
Zudem habe man in der Runde ein Problem in der Wahrnehmung der gesamten Musikwirtschaft durch die Politik erkannt: »Fürs BKM sind wir zu sehr Wirtschaft, fürs Wirtschaftsministerium sind wir zu sehr Kultur«, fasste Heidemann die Problematik zusammen. »Wir wurden zwischen diesen beiden Häusern hin- und her gespielt und bekamen nicht so richtig einen Fuß in die Tür.« Vor diesem Hintergrund habe man sich entschlossen, fortan gemeinsam auftreten zu wollen, gemeinsame Positionen entsprechend zu adressieren und den Schulterschluss auch formeller gestalten zu wollen, ohne allerdings einen eigenen Dachverband zu gründen:
_____»Wir haben alle erkannt, dass gemeinsames Handeln mehr bringt, als wenn jeder einzeln Klinken putzen geht.« JENS MICHOW, BDKV.
»Unser Zusammenschluss heißt nun Forum Musikwirtschaft«, bestätigte denn auch Jens Michow. Bestrebungen, in der Branche einen Dachverband zu gründen, seien in den vergangenen 20 Jahren immer wieder gescheitert, »und das ergibt auch keinen Sinn«, stellte der BDKV-Präsident klar. »Denn es gibt trotz aller Gemeinsamkeiten weiterhin auch viele singuläre Probleme der einzelnen Verbände, die andere wiederum nicht haben.« Das gelte für Steuerfragen im Veranstaltungsbereich oder die Umsetzung des Urheberrechts für Labels und Verlage. »In diesen Fällen spricht jeder Verband weiterhin für sich. Wir aber treten an, Schnittmengen zu finden – und da haben wir gerade in Corona-Zeiten bereits eine ganze Menge identifizieren können.« Für Michow ist deshalb klar: »Wir leben in einer Zeit der Schulterschlüsse und Allianzen, und auch in einer Zeit, in der wir alle erkannt haben, dass gemeinsames Handeln mehr bringt, als wenn jeder einzeln Klinken putzen geht.« Die Musikwirtschaft habe bislang nie mit einer Stimme gesprochen, das nun aber bei übergreifenden Themen hinzubekommen, sei eine große Errungenschaft. »Und das wird auch wahrgenommen.«
Birgit Böcher ergänzte: »Auch wenn wir nicht immer alle gemeinsam auftreten, so kennen wir doch die Argumente der anderen, nehmen diese mit und können sie auch mit Zahlen unterlegen.« Das heiße indes nicht, die Interessen der jeweils eigenen Mitglieder hintanzustellen.
_____»Wir können nicht immer wieder die Komplexität von Wertschöpfungsketten in der Musikwirtschaft betonen, dann aber ein Strukturmonster schaffen.« FLORIAN DRÜCKE, BVMI.
»Wichtig ist: Wir wollen keine neuen Strukturen«, betonte Florian Drücke. Gerade in Zeiten, in denen es um agile Abläufe und die schnelle Anpassung an Entwicklungen gehe, sei es »unzeitgemäß«, etwas aufzubauen, nur um gegenüber der Politik oder der Öffentlichkeit den einen Ansprechpartner vorschieben zu können. »Wir können nicht immer wieder die Komplexität von Wertschöpfungsketten und kleinteilig organisierten Kooperationen in der Musikwirtschaft betonen, dann aber andererseits ein Strukturmonster schaffen.« Man wolle nicht zuletzt deshalb künftig nicht nur kommentieren, sondern auch aktiv als »Ermöglicher« und »Macher« auftreten, formulierte Drücke. Ein erster Schritt dahin soll eine gemeinsam aufgezogene Tagung sein.
»Wir richten zeitnah eine Konferenz aus mit den beiden Themenblöcken Urheberrecht und Musikwirtschaft in und nach Corona-Zeiten«, bestätigte Jörg Heidemann. Hierbei schließe man an eine angedachte zweite Auflage der Mitte 2018 in Berlin durchgeführten Tagung Agenda Musikwirtschaft an, die aber im Zuge der Pandemie nicht stattfinden konnte. Florian Drücke ergänzte: »Wir arbeiten nun also an einer eigenfinanzierten Konferenz, mit der wir die Politik erreichen und dort unsere Positionen und Schmerzpunkte adressieren wollen.« Laut Böcher und Knöll plane man die Veranstaltung als digitales Format über rund dreieinhalb Stunden samt »Entertainment-Pause« mit dem Berliner Club Gretchen als Anlaufstelle.
Allerdings wolle man nicht allein in Berlin beim Bund politische Signale setzen, sondern auch in die Länder und Regionen hinein, erinnerte Knöll: Denn abseits der Spitzenpolitik seien die kleinteiligen Verknüpfungen der Musikwirtschaft oft noch viel zu wenig bekannt. »Alle reden über Tourismus oder Gastronomie, aber viele vergessen die wirtschaftliche Schlagkraft der Kultur-und Kreativwirtschaft sowie insbesondere der Musikwirtschaft. Deshalb wollen wir stärker auftreten, um unsere Wirtschaftskraft gemeinsam besser darstellen und entsprechende Rahmenbedingungen ermöglichen zu können.« Argumentativ würden dabei unter anderem verlässliche Zahlen helfen.
Um solche Argumente ging es laut Karsten Schölermann bereits vor rund fünf Jahren, als der aktuelle Zusammenschluss »absehbar« gewesen sei: »Damals haben wir mit der Musikwirtschaftsstudie untermauerte Zahlen vorlegen können und wurden erstmals gemeinsam wahrgenommen.« Seitdem sei man, inklusive der Instrumentenhersteller, Musikfachhändler und Clubbetreiber, immer wieder miteinander aufgetreten, ob nun zufällig oder geplant. »Insofern geben wir dem ganzen nun zunächst einmal einen Namen. Ob es dann einmal einen Sprecher geben muss, das zeigen vielleicht die nächsten fünf Jahre.«
_____»Wenn wir über Wirtschaft reden, sind wir Clubbetreiber hart drauf, weil wir so hart wirtschaften müssen.« KARSTEN SCHÖLERMANN, LIVEKOMM.
Zum Hamburger Musikdialog 2020 im Vorfeld des Reeperbahn Festivals werde man darüber hinaus nun die zweite Auflage dieser Untersuchung präsentieren, begleitet von einer Musikkonsumentenstudie. Die Livekomm selbst, sagte Schölermann, führe derzeit eine eigene Wirtschaftsstudie unter den Clubbetreibern durch. »In sechs Monaten werden wir erstmals den Club-Orbit wirtschaftlich fundiert darstellen können.« Zwar, so räumte er ein, sei die Untersuchung im ersten Anlauf »noch viel zu wenig kaufmännisch« und werde wohl erst in einer zweiten Runde auf dem Niveau sein, auf dem er selbst sie qualifiziert haben wolle: Er brauche aber schnell fundierte Zahlen, »denn wenn wir über Wirtschaft reden, sind wir Clubbetreiber hart drauf, weil wir so hart wirtschaften müssen«.
Zur Konferenz wollen die Verbände dann auf Basis von Blitzumfragen auch Details präsentieren, die die Entwicklung der jeweiligen Teilbranchen in den ersten Monaten der Corona-Krise im Verhältnis zum Vorjahr beleuchten sollen, bestätigen Birgit Böcher und Karsten Schölermann. Zur Erinnerung: In der inzwischen sogenannten Schadensmeldung von Ende März taxierten die Verbände im Schulterschluss die Umsatzausfälle allein für die ersten sechs Monate auf eine Summe von fast 5,5 Milliarden Euro. Jens Michow allerdings schränkte ein, dass man von der Politik keinen Ausgleich von Ausfällen zu erwarten habe, vielmehr gehe es hier eher um Investitionen in einen Neustart oder Überbrückungsgelder.
_____»Das Forum Musikwirtschaft soll auch nach Corona-Zeiten bestehen bleiben.« DANIEL KNÖLL, SOMM.
»Das Forum Musikwirtschaft soll auch nach Corona-Zeiten bestehen bleiben«, strich Daniel Knöll heraus. Schließlich habe man längst zahlreiche Themen identifizieren können, bei denen man auch unter einfacheren Bedingungen in dieselbe Stoßrichtung ziele: »Wir erhöhen hier den politischen Druck, wenn wir die Kraft der sechs Wirtschaftsverbände dauerhaft bündeln.«
Text: Knut Schlinger