Problemlöser statt Sündenbock – Wie die Nachtkultur helfen kann

Ein Einwurf für Pilotprojekte mit Corona-Schnelltests im Clubwesen

Wir stehen vor einem Dilemma: Menschen, besonders die jüngeren Generationen, haben eisoziales Leben in unserer Gesellschaft, das sich u.a. aus Treffen, ausgehen, Kontakte pflegen, gemeinsam Musik hören, tanzen und Konzerte erleben besteht. Dieses Grundbedürfnis verlagert sich mit dem Ende des Sommers zunehmend wieder in die Innenräume. Dass dies in der Corona-Pandemie problematisch ist, wissen wir nicht erst, seitdem Politik, Medien und Virologen bei steigendem Infektionsgeschehen vermehrt darauf hinweisen. Clubs waren mit die allerersten, die zum Teil noch vor offizieller Anordnung von sich aus im März ihren normalen Betrieb eingestellt hatten. So richtig die bisherigen Einschränkungen auch waren  mit Verboten und Appellen allein kommen wir nicht weiter.  

Durch die nun schon Monate andauernde Schließung der Musikclubs hat sich zunehmend ein Veranstaltungsgeschehen abseits der Regeln entwickelt, privat oder heimlich und illegal, zu Hause, in Parks, Industriebrachen oder tief im Wald. Alles mit einer Gemeinsamkeit: Corona ist weit weg und Regeln, sich vor Ansteckung zu schützen, regelmäßig geputzte Sanitäranlagen oder die Möglichkeit einer lückenlosen Kontaktnachverfolgung, sind nicht existent.  

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Doch anstatt ordnungspolitisch mit Sperrstunden, Alkoholver-botenPlatzverweisen und
schwer zu verfolgender
Begrenzung der Teilnehmenden an
private
n Treffen letztlich in „law and order“-Manier durchzugreifen, sollten zielorientierte Ansätze verfolgt werden, die ein Leben mit der Pandemie ermöglichen 

Aktuell kommt mit einer Kombination aus finanzierbaren (Schnell-)Tests und technischen App-Lösungen, die Ergebnisübermittlung, Zutrittskontrolle und im Bedarfsfall digitale Kontaktverfolgung DSGVO-konform regeln, ein Game-Changer ins Spiel. Wenn es gelänge, infektiöse Besucher*innen zu identifizieren und statt zu den Veranstaltungen ins heimische Bett zu schicken, wäre ein Regelbetrieb OHNE AHA-Regeln in den Locations möglich. Keine Masken, kein Abstand, so wie es die Besucher*innen für ihre Nacht erwarten 

Wissenschaftlich gilt als erwiesen, dass ein/e negativ Getestete/r für den Zeitraum von 12 bis 48 Stunden nur ein sehr geringes Infektionsrisiko für andere darstellt. Derartige Tests im Clubwesen eingesetzt, könnten ein Public-Health-Screening-Tool darstellen und den “Werkzeugkoffer” gegen die Virusausbreitung ergänzen, sodass nicht mehr nur die “Wahl” zwischen PCR-Test (teuer/aufwändig) und “nicht testen” besteht. Musikclubs könnten – insbesondere bei der Überträgergruppe jüngerer Menschen  als Problemlöser wirken und dabei helfen, das Infektionsrisiko zu minimieren. Die notwendigen Konzepte entstammen dem Club-Kontext, sind wissenschaftlich fundiert und liegen seit September vor. 

Für die Anwendung in der Breite braucht es zunächst Praxiserfahrungen in Pilotprojekten mit Begleitung von Wissenschaft und Gesundheitsbehörden und den politischen Willen, ausreichend Testkapazitäten für die Clubkultur abzustellen. Erprobte Lösungen können in weiteren Regionen eingesetzt werden, die so ganz nebenbei noch eine Chance für das wirtschaftliche Überleben der jeweiligen Clubszene vor Ort sind.  

Pilotprojekte sind in der Clubkultur gut möglich. Es besteht eine hohe Motivation der Besucher*innen, sie nehmen freiwillig teil, da sie einen konkreten unmittelbaren Nutzen habenTests an z.B. Schulen hätten bezüglich der Freiwilligkeit andere ethische Hürden, ebenso möchte man sich ein Pilotprojekt mit immer möglichen Fehlern oder Lücken z. B. in einem Pflegeheim in den Folgen nicht ausmalen. Schließlich kann es in einem Piloten auch nur um wenige Orte, wenige Clubs oder Einzelveranstaltungen gehen, denn erst mal geht es um Erfahrungswerte. 

600 Personen im James-Simon-Park: Polizisten werden bei Räumung von illegaler Party in Mitte angegriffen. (Quelle rbb24)Je schneller wir beginnen, desto besser für die Gesellschaft. Es gilt in den kalten Monaten eine Explosion des Infektionsgeschehens durch illegale Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zu vermeiden und wieder an unser kulturelles, wirtschaftliches und soziales Leben anzuknüpfen. Diese Form der Teststrategie wäre weit über die Musikclubs hinaus wirksam und sinnvoll. So können getestete Personen innerhalb des „sicheren Zeitraums“ viele kritische Einrichtungen wie Altenheime oder Krankenhäuser besuchen, an einem Sportevent teilnehmen und abends das Nachtleben genießen.  

Was hält uns auf? Letztlich fehlende Praxiserfahrungen und etwas Mut für einen Versuchsballon. 

Siehe auch: Virologe Jonas Schmidt-Chanasit im Interview zu Partys mit Corona-Schnelltests 

https://hamburg1.de/nachrichten/46472/Party_mit_Corona_Schnelltest.html 

 Verfasser: Gunnar Geßner (KlubNetz Niedersachsen) und
Thore Debor (Geschäftsführer Clubkombinat Hamburg e.V.), 09.10.2020 

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