Kultur goes Stadtplanung – Stadtplanung goes Kultur?

Rückblick auf die Diskussionssrunde zur Vereinbarkeit von Wohnen, Arbeiten und Kultur

(Blogbeitrag von Thore Debor, Sprecher AG Kulturraumschutz)

Im Rahmen der Reeperbahn Festival Konferenz 2019 erörterten Julia Erdmann (Gründerin, Julia Erdmann Socialtecture (JES), Till Kniola (Referent für Popkultur und Filmkultur, Kulturamt der Stadt Köln), Sascha Tegtmeyer (Leitung Urban Data Hub, Landesbetrieb Geoinformation &Vermessung) und Florian Tienes (Gesellschafter, AG.URBAN) unter dem Titel „Kultur-Integrierte Stadtentwicklung – Kultur goes Stadtplanung“ mit dem Moderator Thore Debor (Geschäftsführer, Clubkombinat Hamburg e.V.) den Status und die Visionen für eine intensive  Abstimmung zwischen Kulturschaffenden und Stadtplaner*Innen. Hintergrund bilden die – insbesondere in Metropolen – zunehmende Nachverdichtung und der damit einhergehende drohende Verlust von Freiräumen für Kulturinstitutionen. Die Kernfrage lautete, wie es künftig gelingen kann, die Lebendigkeit der Städte zu erhalten?

Anlass und Ausgangspunkt der Diskussion bilden nahezu zeitgleiche Planungsvorhaben mehrerer Städte (Berlin, Köln, Hamburg und Leipzig), Raum- bzw. Club-Kataster zu erstellen. Das Hamburger Club-Kataster wurde am 17. September veröffentlicht und dient zur offiziellen Kartierung von Musikspielstätten. Die verzeichneten Clubs erteilten zuvor ihre Freigabe zur Veröffentlichung ihrer Geo-Daten. Diese Form der Erfassung und Darstellung dient unter anderem einer möglichst frühzeitigen Identifizierung von Nutzungskonflikten und ermöglicht ein Monitoring, das Jahresstatistiken über Öffnungen und Schließungen von Musikspielstätten beinhaltet.

Till Kniola berichtete zum Einstieg von den Vorhaben in Köln, wo man nach Erstellung und Fortschreibung eines Kulturentwicklungplans (KEP) unter hoher öffentlicher Beteiligung vermehrt versucht, die kommunale Planungshoheit wieder stärker in den Blick zu nehmen und ganzheitliche Ideen für die Region zu entwickeln. Dabei sollen Bau-Investoren von kulturellen Nutzungen überzeugt und notfalls verbindlich verpflichtet werden, bei Bauvorhaben auch Räume für Kultur zu berücksichtigen. DDie Stadt Köln plant ein Club-Kataster aufzubauen, das auch firmensensible Daten wie die Anzahl der Veranstaltungen, Beschäftigte, Genre, Dauer des Mietvertrags etc. erfasst, um ein wirkungsvolles internes Verwaltungsinstrument zu haben.

Der nächste Gesprächspartner, Florian Tienes, wies auf die Erfahrungen aus der ersten Version des Club-Katasters hin. Dieser machte Standorte der Clubs für die Behörden sichtbar und sollte auf diese Weise eine Integration von Clubbetreibern und Kulturschaffenden in die Planungsprozesse ermöglichen. Allerdings erwies sich das in der Praxis durch die hohe Auslastung der Mitarbeitenden der Berliner Behörden als nicht zielführend.

Mit der Folgeversion, die sich noch in einem Beta-Stadium befindet, haben AG.URBAN und die Clubcommisson den Spieß umgedreht. Zukünftig sollen automatisierte  Warnungen an angrenzende Clubbetreiber gesendet werden, wenn in einem Umkreis von 500 Metern neue Bebauungen geplant werden. Durch diese Informationen sollen frühzeitig Beteiligungen und Initiativen zur Rettung von Arealen entstehen. Der Ansatz ein Tool zu haben, dass Vernetzung untereinander fördert und das notwendige Hintergrundwissen transportiert wusste zu gefallen.

In der Weiterentwicklung ist vorgesehen auch weitere Datensätze zu Unterstützung der Clubs zu integrieren und diese damit in städtischen Aushandlungsprozessen zu stärken. So lassen sich beispielsweise Kriminalitätsstatistiken oder Immissionskarten einbinden, um Vorurteilen gegenüber Clubs in urbanen Räumen mit datenbasierten Karten zu begegnen.

Als nächster Sprecher erläuterte Sascha Tegtmeyer die Funktionen des Urban Data Hub, der viele verschiedene Datentypen aus unterschiedlichsten Quellen (Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft) bündelt, diese in Datensilos aufbricht, um Informationen für die Allgemeinheit besser verfügbar zu machen. Inzwischen existieren über 1.000 Datenlayer, wovon das Club-Kataster einen Layer abbildet und als  eigenes Portal existiert, das auch farbliche Unterscheidungen (bestehende, geschlossene Musikspielstätten) beinhaltet. Der Landesbetrieb für Geoinformation und Vermessung hat die entsprechenden Stellen in Bauämtern und Behörden über den neuen Layer informiert.

Künftig sei auch die Nutzung in Bürgerbeteiligungsverfahren vor der Bauplanung möglich und Sascha Tegtmeyer verwies auch auf eine Kooperation mit der HafenCity Universität Hamburg.

Thore Debor ergänzte an dieser Stelle die Zielsetzung, dass mit dem Kataster künftig auch die Identifizierung geeigneter Kulturflächen vereinfacht werden könne und zeigte sich erfreut, das nun  Fördermittel bereit stünden, um auch Nicht-Verbandsmitglieder im Kataster zu verzeichnen.

In Anschluss berichtete Julia Erdmann, wie sie seit zwei Jahren mit JES gesellschaftliche Aspekte mit Architektur verbindet. Ihr Ansatz besteht darin, Gespräche mit allen Stakeholdern wie Immobilienwirtschaft, Behörden, Bestandsbauten / Anwohner*Innen und vor allem mit den tatsächlichen Nutzern zu führen und mit ihnen co-kreativ Ideen für das Stadtleben zu entwickeln. Die Ideenentwicklung erfolgt dabei gesellschaftlich-kulturell. Die informelle Frühzeitigkeit bezeichnete Julia Erdmann als essenziell für den Erfolg. Sie betonte, dass das Club-Kataster als erster „kulturelle Layer“ die Stadtplanung bereichert, indem es eine informelle Frühbeteiligung ermöglicht und verschiedene Perspektiven einbringt und beleuchtet.

In der anschließenden Publikumsdiskussion erfolgte die Erwähnung, dass die Stadt Leipzig sich derzeit auch in der Konzeptionsphase für ein Kultur-Kataster befindet, das einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt und die Trennung zwischen Popkultur und „ernster Kultur“ aufheben möchte. Der Blick in dieses Kataster soll per Beschluss des Stadtrats bei zukünftigen Bau- und Sanierungsvorhaben verbindlich vorgeschrieben werden. Als problematisch erweist sich derzeit der unbekannte Umfang der dafür nötigen Datenpflege. In Hamburg fokussiert man sich aus diesem Grund zu Beginn auf die Musikclubs. Eventuell folgten später noch Proberäume. Auch Köln will mit einem Kataster weitere Kulturinstitutionen kartieren.

Ergänzungen aus München zeigten auf, dass Reißbrett-Planungen kreativwirtschaftlich genutzter Flächen teilweise gescheitert seien. Die Innenstadt ist für Kreativwirtschaft dicht bzw. nicht mehr verfügbar. Dabei besteht ein Bedarf andere Nutzerkreise in die Gewerbeflächen zu bekommen, als nur Einzelhandel. Julia Erdmann ergänzte den Vorschlag, dass man die Erdgeschosse aus allen Excel-Tabellen streichen und nicht vorab verplanen sollte. Erdgeschossflächen gehören kuratiert. Insgesamt sind Räume simpel zu gestalten und sollten sich selbst bzw. sich mit den Mietern entwickeln.

Abschließend zeigte die Erläuterung eines Beispiels aus der Hamburger HafenCity die Komplexität im Einzelfall. Die Stadt Hamburg verpflichtete ein Immobilienunternehmen für eine städtisches Grundstück, dieses befristet mietfrei für ein Kinderkulturhaus zur Verfügung zu stellen. Der Investor stellt den Rohbau und bekommt dafür das Grundstück günstiger. Dabei bedeutet mietfrei keineswegs kostenfrei: für Ausbau, Nebenkosten (z.B. Wartungsverträge) und Instandhaltungsrücklagen sind immense Summen aufzubringen.

Die Intensität der Gesprächsrunde zeigte deutlich auf, wie viel Themen und Arbeit in dem Gebiet für eine kultur-integrierte Stadtentwicklung noch schlummern und auf folgenden Konferenzen, wie z.B. auf der Stadt Nach Acht Konferenz zu erörtern sind.

Weitere Infos zur Arbeit der AG:
www.livemusikkommission.de/arbeitskreise/kulturraumschutz/