Die Distillery muss weichen – lautstarker Protest am Demo-Wochenende

Nachbericht zum Distillery Closing und der clubsAREculture Demonstration in Leipzig

„Der Umzug der Distillery wirft ein Schlaglicht auf die Clubszene in Deutschland. Viel steht für die Szene derzeit auf dem Spiel.“ Mit dieser Einstufung leitet Florian Reinke seinen Kommentar in der Leipziger Volkszeitung vom 30. Mai 2023 treffend ein.

In der Tat: Das unfreiwillige Ende der Distillery – dem ältesten Techno-Club in Ostdeutschland – am langjährigen Standort im Südvorstadt Leipzigs ist eine Zäsur. Wenn selbst diesem etablierten Ort für Clubkultur den Verdrängungsprozessen nicht Stand halten kann, dann ist es um den Erhalt von derartigen Orten auch im Rest der Republik schwer bestellt.

Trotz jahrelangen politischen Kampfes u.a. durch eine Onlinepetition mit über 10.000 Unterschriften, Kundgebungen und einiger vielversprechender Beschlüsse des Leipziger Kulturausschusses (2005) und des Leipziger Stadtrates (2014) zum Erhalt der Distillery am Standort Kurt-Eisner-Straße ist es nicht gelungen, die Belange der Kultur gegenüber finanziellen Interessen von Immobilen-Projektentwicklern durchzusetzen.

Der Weiterbetrieb der Distillery ist dem vorherrschenden Flächenverwertungsdruck zum Opfer gefallen. Dass nun das Projekt „Stadtraum Bayerischer Bahnhof“ mit 1.600 Wohnungen – aktueller Immobilienentwickler ist eine Tochter des Vonovia-Konzerns – aufgrund Verzögerungen beim B-Plan Verfahren und auch vermutlich mangels lukrativer Ertragsaussicht vorerst nicht realisiert wird, hinterlässt einen bitteren Beigeschmack. Das direkt benachbarte Wohnbebauungsobjekt La Vida – Casa Mia für rund 50 Wohneinheiten bildet nun den Sargnagel für die Distillery. Geeignete Instrumente für eine kulturelle Stadtentwicklung hätten diesen kulturellen Kahlschlag eines von der Bundesregierung preisgekrönten Kulturortes (Applaus Award 2022 für Beste Livemusikprogramme) verhindern können. Ein verpflichtendes (Club)Kultur-Kataster hätte den Planungsbehörden Warnung liefern und entsprechende Auflagen für den Kulturraumschutz implementieren können.

Heranrückende Wohnbebauung: Das La Vida Gebäude grenzt nahezu direkt an die Distillery.

Wäre ein Erhalt am Standort unmöglich gewesen, hätte ein Kulturraumschutzgesetz dem Investor wenigstens die Kosten für den Umzug an einen neuen Standort auferlegen können. Ohne diese Schutzinstrumente wird die avisierte Interimslösung in der Messehalle 7 zu einem finanziellen Kraftakt.

Im April diesen Jahres wurde der Bauantrag für die Umnutzung der Flächen und eine Genehmigung als Versammlungsstätte gestellt. Die Zielstellung ist, noch 2023 den Betrieb der Distillery dort wieder aufnehmen zu können. Es gilt jedoch zu befürchten, dass aufgrund einer komplexen Brandschutzlage Verzögerungen eintreten werden.  

Die Herrichtung und Genehmigung für die langfristige Nutzungsperspektive im Gleisdreieck wird dann ein ähnlicher Drahtseilakt und eine enorme Kraftanstrengung benötigen.

Mit den aktuellen Bestimmungen eine Versammlungsstätte zu planen und schließlich genehmigen zu lassen, ist ungemein komplex und kostspielig geworden. Gerade für junge Kreative, die voller Ideen aber ohne finanzielle Ausstattung einen eigenen Club eröffnen wollen, ist es quasi unmöglich geworden, einen neuen Ort zu schaffen und zusätzlich noch genug finanziellen Spielraum zu haben, um ein kulturell hochwertiges und bezahlbares Programm auf die Beine zu stellen.

#clubsAREculture: LiveKomm fordert Anerkennung von Clubs als Kulturräume

Umso wichtiger ist es, entweder vorhandene Orte zu erhalten oder sicherzustellen, dass ausreichend finanzielle Unterstützung für die Schaffung von Ersatzflächen zur Verfügung gestellt wird. Hier knüpft die Forderungen der LiveKomm nach einem Kulturraumschutzgesetz an. Diese sind an das Bundesnaturschutzgesetz angelehnt. Denn dann würden nicht nur erhebliche Mittel in den wichtigen Artenschutz fließen, es gäbe auch die Verpflichtung für Investoren, für den Erhalt von Kreativflächen finanziell aufzukommen.

In den kommenden Monaten stehen wichtige Weichenstellungen in Sachen Schallschutz (TA-Lärm) und Baurecht (BauNVO) auf der politischen Agenda, die auch im LiveKomm-Papier enthalten sind.

Da sich der Distillery-Fall in Leipzig verortet, ist ein Verweis auf die Neue Leipzig-Charta doppelt angebracht: Dieser in der EU abgestimmte Orientierungsrahmen für die Stadtentwicklung soll die Grundlage für eine zukunftsgerichtete Transformation der Städte liefern. Die Vereinbarkeit von Wohnen, Leben und Arbeiten steht im Sinne der angestrebten, funktionsgemischten Stadt, entsprechend der Neuen Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt, auf der politischen Agenda. Insbesondere in Leipzig sollten Aspekte von Verträglichkeit zwischen Wohnen und Kultur höchste politische Priorität einnehmen.

Bleibt zu hoffen, dass die Demonstration am Pfingstmontag unter dem Motto „#clubsAREculture“ mit rund 5.000 Teilnehmer:innen und die dort vorgetragenen Forderungen im Rathaus zu Leipzig und den Rest der Republik Gehör finden. An mangelnder Medien-Berichterstattung kann es nicht liegen. U.a. tagesschau.de, Deutschlandfunk und der MDR berichtete umfassend über seine Kanäle und Sendungen Sachsenspiegel und MDR Aktuell vom Distillery Closing.